
Hallo, hallo, hier meldet sich Glauchau. Ein süßes Örtchen (in seinem Zentrum), das optisch viel zu bieten hat, eine Menge historische Bausubstanz aufweist und sogar geöffnete Restaurationsbetriebe. Dass das nicht selbstverständlich ist, erfuhr ich Sonntag schon in Aue, und auch in Meerane musste ich mich am Mittag ganz schön durchfragen, ehe ein Tässchen Kaffee vor meiner Nase stand. "Es ist Montag, da hat alles zu". Aha.
Der Osten ist anders. Ja, übelste Platitüde, mit nix außer Vorurteilen gefüllt. Ich weiß. Deshalb bin ich ja auch hier. Um zu verstehen. Die Lage ist nicht rosig, das hörte ich heute einige Male. Und mit den angekündigten Massenentlassungen bei VW in Zwickau bricht die nächste Säule weg. Mindestens 8.500 Arbeitsplätze gehen flöten, dazu kommen die in der Zulieferindustrie. Hoffnung ist hier derzeit ein rares Gut.
Kommen wir zum Radeln. Es waren gar nicht so viele Kilometer (57), aber die waren prall gefüllt. Nach einer gewittrigen Nacht startete der Morgen mit Sonnenschein, was mein klatschnasses Zelt in Windeseile abtrocknete. Damit war die erste Herausforderung bereits bewältigt, denn mit nassem Zelt fährt sich schlecht.
Die zweite folgte unmittelbar darauf. Zum Start gleich einen fetten Anstieg vor sich zu haben ist nie schön. Die Muskeln sind noch kalt, und weil ich schlecht ausgerüstet war und Kaffeepulver vergessen hatte, arbeitete noch nicht mal ein Muntermacher in meinen Blutbahnen.
Doch es half ja nix. Erstmal hoch nach Schneeberg, wo ich schon ordentlich Höhenmeter in den Beinen hatte. Danach wurde es hügelig mit Tendenz abwärts, wobei die Angelegenheit durchaus einer Achterbahn glich. Nach Langenbach ging es mit wahnwitzigen 19 Prozent runter, und da lässt man die Bremsen besser los, sonst glühen sie (bzw. eher die Felgen). Die Zahlen auf dem Tacho spielen allerdings plötzlich verrückt, und wenn die 70 km/h-Schwelle auftaucht, sollte man tunlichst den Anti-Panik-Knopf drücken, denn sonst wirds wirklich kribbelig. Irgendein Radfahrer (war es Jens Voigt?) sagte mal sinngemäß: "Jeder Depp kann einem Berg rauffahren. Aber runter?" Dieses wilde Stück Straße, auf dem ich mich gen Tal stürzte, bestätigte es. Und da ich heile unten ankam bin ich wohl kein Depp.
Die Landschaft ne optische Wucht und so unfassbar spießbürgerlich deutsch, mit bunten Vorgärten, getrimmten Rasenflächen und Gartenzwergen, dass sie wie eine heile Welt wirkte. Ob es wohl auch eine ist?
Unten im Tal wurde es industriell. Wilkau-Haßlau, Planitz, Schedewitz - Orte mit nüchterner Aura und großer Industriegeschichte, die in der Vergangenheit liegt. Zwickau begrüßte seine Besucher dann fröhlich mit einem "Gäste jagen"-Schild (okay, ich kam auch aus Richtung Aue, oder "Schacht", wie man hier sagt).
Ein kurzer Abstecher zum schön renovierten/umgestalteten Westsachsenstadion, dann spuckte mich der verkehrsbefreite Radweg entlang der Mulde auch schon in der Altstadt aus. Und wow! Das machte ordentlich was her, das gibt sicher ein schönes Bild im Tourismusprospekt ab! Bemerkenswert allerdings auch die Wohnplatten nebenan, was "den Osten" aus der Sicht "des Wessis" eben auch zu etwas Besonders macht: es gibt hier eine zusätzliche historische Ära, die selbstverständlich auch in der Architektur ihre Spuren hinterlassen hat.
Nach Zwickau änderte sich die Landschaft. Vor allem hinter dem VW-Örtchen Mosel, in dem der letzte Anstieg des Tages anstand, wurde es wuselig. Plötzlich kurbelte ich direkt neben der A9, reihte sich Industriepark an Industriepark. VW lässt grüßen - und demnächst zittern.
So ging es bis Meerane, wo sich das Richard-Hofmann-Stadion ein wenig vor mir versteckte (es liegt an einem Park, doch keiner der vielen Pfade führte zum Ziel), ehe ich den Ground fast umrundet hatte und endlich vor dem "neuen" Meeraner Stadion stand, das allerdings auch ordentlich alt daherkommt. Kein Wunder, es wurde 1955, vor 70 Jahren, eröffnet... (zum "alten" kommen wir noch).
Dass Meerane mal eine reiche Industriestadt war (Textil), spiegeln die vielen Villen im Stadionumfeld, die aber ebenfalls in die Jahre gekommen sind.
Während düstere Wolken Regen ankündigten durchkurbelte ich das aufgehübschte Stadtzentrum auf der Suche nach einem Café. Viele fand ich nicht, und alle waren zu. Eine ältere Dame riet, es beim Kunsthaus zu versuchen, und da war tatsächlich geöffnet! Hurra, Leben im Meerane!
Der Regen kam dann just zum am legendären Sprtplatz Rote Hügel (dem "alten" Stadion) ausgemachten Treffpunkt mit Jan, der die Stadionbefreiungsaktionen in Rudisleben und Riesa organisiert hat (im aktuellen Zeitspiel gibt es ein Interview mit ihm) sowie Jörg, DEM Mann, wenn es um Meeraner Fußballgeschichte geht. Dazu kam noch Monthy aus Aue, der gestern wegen eines Marathons nicht vor Ort sein konnte.
So standen also vier leicht in die Jahre gekomme Männer mit einer ausgesprochenen Schwäche für nerdige Fußballthemen vor einer zugewucherten Naturbrache, über die erstaunlicherweise gerade ein Rasenmäher fuhr - ihr könnt euch sicher ein bisschen vorstellen, wie unser Gespräch ablief.
Ich lernte jedenfalls ne Menge über Meerane, den lokalen Fußball und die Herausforderungen der Gegenwart. Der SV 07 ist frisch in die Landesklasse aufgestiegen, doch ob das wirklich gut ist für das Portemonnaie wird sich zeigen. Was ich alles sonst noch erfahren habe (und das war viel Spannendes) könnt ihr dann später im geplanten Buch lesen ;-D.
Anschließend ging es über ruppige Kopfsteinpflasterstraßen weiter in die Ex-BSG-Chemie-Stadt Glauchau, wo der VfB Empor das Erbe des früheren DDR-Ligisten fortsetzt. Auch hier, wie an so vielen traditionsreichen Fußballortem wahrlich nicht nur im Osten, vor kümmerlichen Zuschauerzahlen, die in unserer nerdigen Meeraner Viererrunde übrigens die Frage nach der "Zukunft des Fußballs" aufwarf.
Eine schwierige, und zudem mit einer gewissen Skepsis verbundene. Die großen Zeite kommen in Meerane, Glauchau und Co. jedenfalls nicht zurück.