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Sudan - Tour d'Afrique 2011

Seit einer Woche tobt ein blutiger Machtkampf zwischen den Anhängern zweier hoher Militärs im Sudan. Das nordafrikanische Land ist ohnehin schon gezeichnet von u.a. Klimaentwicklung und der Abtrennung des Südsudans. Die Hoffnungen der Menschen auf eine friedliche und optimistische Entwicklung erfahren damit einen weiteren Rückschlag. Auf der Tour d'Afrique fuhr ich 2011 auch den Sudan und verbrachte einen Pausentag in der Hauptstadt Khartoum, aus der aktuell alle Westeuropäer evakuiert werden. Ich genoss eine wunderbare Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit uns Radler aus der westlichen Welt.

 

Hier der Bericht aus meinem Buch Tour d'Afrique, das im Handel vergriffen ist, bei mir aber noch bezogen werden kann.

 


19. Tag, 15. Etappe. 2. Februar: Desert Camp - Khartum. 101 Kilometer

Heute geht es nach Khartum. Wie das klingt! Khartum! Als wir vor acht Tagen in Wadi Halfa starteten, zeigten die Entfernungsschilder knapp 1.000 Kilometer bis in die sudanesische Hauptstadt an. Damals eine gewaltige Entfernung. Nun sind nur noch etwas mehr als 100 zu überwinden, steht bereits der nächste Höhepunkt an: ein Einzelzeitfahren über 20 Kilometer. Ich bin früh auf den Beinen und bis in die Haarspitzen motiviert. Längst ist mein Ehrgeiz wieder erwacht, habe ich den Spaß am Rennen und am Wettstreit zurückgefunden. Heute will ich eine gute Zeit hinlegen. Und komme gut rein. Kette rechts, Muskeln gelockert, Geist fokussiert. Rasch kurble ich mich auf fast 40 Stundenkilometer, die ich auf der schnurgeraden und flachen Straße lange halten kann. Überhole einige Konkurrenten, überwinde ein kleines Tief fünf Kilometer vor dem Ziel und passiere schließlich den Zeitnehmertisch. Dort empfängt mich ein Team des sudanesischen Fernsehens, das aufregt filmt. Während ich interviewt werde, erfahre ich, dass ich der erste Fahrer im Ziel bin. Stolz erläutere ich meine beeindruckende Erfolgstaktik („hohes Tempo halten“) und antworte ebenso brav wie wahrheitsgemäß, dass es mir im Sudan gut gefalle. Am Ende des Tages werde ich mit 35:15 Minuten den fünften Platz belegt und damit einige der starken Rennfahrer hinter mir gelassen haben. Ein Erfolg, der mich sehr stolz macht.

Kurz vor der Stadtgrenze von Khartum sammeln wir uns. Die restlichen 30 Kilometer gehen unter Polizeibegleitung und im Konvoi weiter. Ein anstrengendes Unterfangen. Mit kaum 15 km/h schleichen wir voran, schwitzen unter der unbarmherzigen Sonne. Es ist wie ein Besuch im „Weltspiegel“. Im Dezember hatte ich dort einen Beitrag über einige Arbeiter aus dem Südsudan gesehen, die aufgrund der drohenden Spaltung die Hauptstadt verließen. Nun pedale ich an exakt jenen Slums vor den Stadttoren vorbei, die damals gezeigt worden waren. Zunächst passieren wir Omdurman, das links des Nils liegt und gemeinsam mit Khartum das politische und wirtschaftliche Herz des Landes bildet. In Omdurman lebt man, in Khartum arbeitet man. Entsprechend lebhaft geht es in Omdurman zu. Entlang der Hauptstraße wummert Musik aus den Geschäften, werden die Waren unter freiem Himmel verkauft, herrscht ein wuseliges Chaos, werben die Muezzine. Omdurman ist das religiöse Zentrum des islamischen Sudans. Als wir den Nil überqueren und nach Khartum hineinfahren, ändert sich die Atmosphäre. Hochhäuser, Geschäftsräume mit Schaufensterfronten, Bürgersteige, moderne Autos – Khartum wirkt wie ein Stück Europa.

 

Nach zwei langen Stunden kommen wir auf dem Campingplatz an und lassen unsere Räder in den Sand fallen. Ich erwische ein Stückchen Gras, auf das ich mein Zelt stelle, schnappe mir eine eiskalte Cola und atme erst einmal tief durch. Der erste Abschnitt der Tour d’Afrique liegt hinter mir. 1.979 Kilometer sind absolviert. Im Gesamtklassement liege ich auf Position 19. Fünf Stunden hinter meinem „Rivalen“ Sam. „Wärst Du nicht krank geworden, lägest Du vor mir“, versichert mir Sam, doch ich muss ihn an seinen üblen Schnupfen erinnern, mit dem er verbissen durchgefahren ist. „Du hast viel mehr Durchhaltewillen bewiesen als ich.“ Abends besiegeln wir unsere Erfolge bei einer kühlen Cola – das standesgemäße Bier gibt es im islamischen Sudan nicht – und philosophieren über die bisherigen Erfahrungen. „Es ist irgendwie wie eine unendliche Zen-Session“, setzt Sam an: „Man macht einfach, was man macht, ohne darüber nachzudenken. Fahrrad fahren. Pause machen. Zelt aufbauen. Sich mit der Isomatte in den Dreck legen. Die ganze Hektik ertragen. Essen. Schlafen. Wieder Fahrrad fahren. Alles nehmen, wie es kommt“.

 

20. Tag. 3. Februar, Khartum, Pausentag

Der Café au Lait schmeckt phantastisch. Und auch sonst fühle ich mich wie daheim. Um mich herum einkaufstütenbeladene Menschen, die mit Smartphons hantieren und europäische Hektik versprühen. Im gemütlichen Kunstledersessel eines auf „italienisch“ designten Cafés lümmelnd, atme ich vertrauten Luxus ein.

Mitten im Sudan, in einem der ärmsten Länder der Welt, gibt es auf einigen hundert Quadratmetern jeden erdenklichen Luxus: das AFRA-Shopping Centre. Mit einem Kleinbus haben wir uns hinkutschieren lassen in dieses zweigeschossige Shoppingparadies, das uns nach drei Wochen des Darbens förmlich die Augen übergehen lässt. Im Obergeschoss offerieren Fast-Food-Ketten chinesische, italienische und türkische Küche. Für zehn sudanesische Pfund - etwa zwei Euro – erstehe ich eine üppig belegte Pizza und bringe meine Geschmacksnerven zum Jauchzen. Auch wenn es wahrlich nicht die beste Pizza ist, hat mir selten zuvor eine so gut geschmeckt.

Anschließend bummle ich durch den Supermarkt im Erdgeschoss. Treffe andere Fahrer. Mit großen Augen schlendern wir durch die Regalreihen und füllen unsere Einkaufskörbe mit Keksen, Weingummi-Tüten, Joghurts und Säften. Eine unscheinbare Tafel Schokolade bringt mich fast zum Weinen. Seit Kairo haben wir nicht mehr so ein fantastisches Angebot gehabt. Es sind es vor allem Weiße, die hier einkaufen. Insbesondere für die Mitarbeiter der diversen Hilfsorganisationen ist die Shoppingmall ein Magnet, zumal dort auch ein Hauch westlicher Lebenskultur zu erhaschen ist. Die wenigen Einheimischen gehören unverkennbar zur Oberschicht. Sie tragen westliche Kleidung, hantieren wichtigtuerisch mit Smartphones.

Nach außen wirkt das Einkaufsparadies unscheinbar. Ein brauner Gebäudekomplex, der sich nicht von seiner Umgebung abhebt. Erst wenn man näher kommt, wird das Besondere sichtbar. Sieht man die bewaffneten Soldaten, die auf dem Parkplatz die gigantische Flotte schneeweißer SUVs mit den Aufschriften von Hilfs- oder UN-Organisationen bewacht. Fühlt man die Klimaanlage, die für wohlige Temperaturen sorgt. Das Gebäude spaltet. Als weißer Europäer wird mir von den bewaffneten Sicherungskräften freundlich zugenickt. Für die Betreiber der kleinen Verkaufsstände vor dem Parkplatz hingegen ist es eine unerreichbare Welt.

Abseits der vertrauten Shoppingwelt befriedigt Khartum aber auch unsere Sehnsucht nach exotischem Afrikaflair. Auf dem Weg zurück zum Camp passieren wir einen lärmenden Busbahnhof. Menschen ergießen sich aus buntbemalten Überlandbussen. Es stinkt nach Diesel und Öl. Hühner zappeln durch das Chaos, Fußgänger springen hektisch heranrasenden Fahrzeugen aus dem Weg. In einem aus groben Holz gezimmerten Stand werden allerlei Dinge offeriert. Egal ob Waschpulver, Batterien, Brot oder Plastikeimer – was nachgefragt wird, ist auch im Angebot. Daneben ein kunstvoll aufgetürmter Berg mit frischen Orangen und ein Jugendlicher, der köstliche Falafel offeriert.

 

Abends kämpft mein Körper mit der drohenden Siedetemperatur. Die Sonne ist schon lange untergegangen, und es hat noch immer weit über 30 Grad. Die Luft erdrückt. Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem mich um kurz vor sechs ein Muezzin weckt, dessen Lautsprecher unmittelbar neben meinem Zelt aus dem Boden ragt. Der gute Mann muss im gesegneten Alter sein, denn seine Lobpreisungen kommen stockend und röchelnd daher.

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