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Balkan Beats Etappen 22 und 23

Manchmal ist Griechenland wie eine gigantische Freiluftsauna. Vor allem, wenn es gerade geregnet hat und dann die auch im Oktober immer noch starke Sonne hervorkommt. Alles wird plötzlich zum Dampfbad, und im ländlichen Raum kommen dann noch wunderbare Gerüche von Rosmarin und anderen Gewürzen dazu, die wie ein kräftiger Saunaaufguss riechen. Geschwitzt wird dabei natürlich auch, zumal Peloponnes so ziemlich alles ist, aber nicht flach. Und da fließt die Suppe dann tüchtig heraus aus mir, wenn ich mich im saunaentspannten Tempo die Anstiege hochquäle und das Dampfbad genieße.


Meine Eindrücke vom Land sind vielschichtig. Gestern war die erste regenfreie Etappe, da konnte ich endlich mal genauer hingucken. Auf der einen Seite sehe ich ein Griechenland, bei dem ich mich frage, wie es sich die Leute leisten können. Fast 1,80 Euro für den Liter  Benzin bei deutlich geringerem Durchschnittseinkommen als in Deutschland ist schließlich ne Ansage. Und vom Kaffee für 4 Euro in Patras schrieb ich schon. Die andere Seite der Medaille ist der ländliche Raum. Ich sehe viel Leerstand, Verfall, Aufgabe. Zugleich volle Tavernas, selbst in den kleinsten Gemeinden. Da kostet der Kaffee nur die Hälfte und es gibt eine Flasche Wasser dazu. Es sitzen allerdings ausnahmslos Männer dort und schlagen die Zeit tot.

Der Lebensrhythmus ist gemütlich. Und das ist etwas, was uns Abgesandte der Komfortzone häufig irritiert. Dieses ausgeprägte Nichtstun. Zorba the Greek in Reinkultur. Manchmal guckt man ganz neidisch und träumt von einem Leben des Nichtstuns unter südlicher Sonne. Die meisten kommen als Urlauber hierher, haben vielleicht zwei Wochen, von denen die erste dafür drauf geht, den Stress abzubauen und in der zweiten die Gedanken an die Rückkehr losgehen. Davon bin ich nun nicht betroffen, ich hab meine Arbeit auf dem Rad dabei und am Sonntag haben wir in einer Fernschalte zwischen Hannover und Arkoudi sogar Zeitspiel-Ausgabe #24 in die Druckerei gebracht. Die Irritationen erreichen mich trotzdem. Die Sehnsucht nach dem Süden, nach einem Leben, das anders geprägt ist als das, welches uns vertraut ist. Reisen heißt auch, sich irritieren zu lassen. Denn die Realität ist ohnehin viel vielschichtiger als der erste Eindruck. 

Das gegenwärtige Wetter sorgt zudem dafür, dass die Irritationen nicht allzu ausgeprägt sind. Am Sonntag hatte Hannover deutlich mehr Sonne als Arkoudi. Die anhaltende Tiefdrucklage lässt aktuell auch keine wirklich weiten Tagesetappen zu, denn der Regen ist allgegenwärtig. Und er kommt in Sturzfluten. Überflutet Straßen, verändert das Landschaftsbild. Vertreibt die letzten Urlauber, lässt die Cafes und Tavernas schließen. Die Campings sowieso. Herausforderung für den campenden Radler. Für Donnerstag und Freitag ist die nächste Sturmlage angekündigt. Wasserhosen, Tornados, Überschwemmungen. Ich hab mir vorsorglich schon mal ein kleines Appartement an der Küste bei Kyparissia reserviert, in dem ich einigermaßen autark den Naturgewalten zusehen kann. Meine Radtour aber ändert es gerade. Nebenbei erfahre ich vom erneuten Erdbeben auf Kreta, nicht allzu weit weg.


Heute ging es vom Aida-Hafen Katakolo nach Olympia. Pendeln zwischen zwei Welten sozusagen. Katakolo ist ein Nest von 500 Einwohnern, in dem jeden Tag ein Ozeanriese anlegt und seine Ladung ausspuckt. Für bis zu fünf Stunden sind Läden, Cafes und Restaurants von Katakolo dann gefluten, ehe die Einsamkeit zurückkehrt. Ein absurdes Leben, fast wie ein Besuch im Zoo. Kurz mal Einheimische schauen und dann zurück in die heimelige Welt des Schiffes, auf dem es alles gibt. Inklusive eigener Luxusblase.

Ich übernachtete bei Yannis, der fünf am Hang gelegene uralte Fischerhütten an durchreisende Touristen vermietet. Es sind Perlen der Vergangenheit. In einer Kargheit, die an Afrika erinnert. Mit einer Herzlichkeit von Yannis, die auch an Afrika erinnert. Einziges Problem: 97 Stufen, die es zu erklimmen gilt, ehe man in dem kleinen Paradies ankommt. Schon mal 97 Stufen mit einem vollgepackten Fahrrad erklommen? Yannis half, doch es war ein schweißtreibender Auftrag. Yannis liebt sein Refugium hoch über den Dächern von Katakolo. "Es ist meine eigene Welt hier", sagt er, und spricht dazu ausgezeichnet Deutsch. Wie auch Englisch. Der Kontakt mit den Weltreisenden schult und erweitert der Blick. Auf beiden Seiten. Yannis lebt ein Leben, auf das ich nicht neidisch bin. Das ich aber trotzdem bewundere.

Der heutige Weg nach Olympia war geprägt von wütenden Regenwolken, die mich lange verfolgten und drei Kilometer vor dem Ziel tatsächlich noch einholten. Und einem Navi, das mich verrückt machte, weil es mich ständig auf Nebenpisten schicken wollte, die nach dem Regen der letzten Tage nicht befahrbar waren. Konnte das Ding zwar nicht wissen, verflucht habe ich es trotzdem und mir vorgenommen, die nächsten Etappen etwas sorgfältiger zu planen als einfach "Startort" und "Ziellort" einzugeben. Ein Computer (Navi) ist eben immer nur so schlau wie die Person, die ihn bedient...


Am Nachmittag verzog sich der Regen, trocknete die Sonne das Gelände der historischen Olympischen Spiele ab. Wenn man es nüchtern sieht handelt es sich dabei um einen Haufen umgefallener Steine, die ziemlich alt sind. Wenn man sich darauf einlässt wird es zu einer Zeitdimension, die unvorstellbar ist. Und weckt die Sehnsucht nach Zeitreise. Ich bin ja nicht der klassische "Klassische-Orte"-Reisende. Mich interessiert mehr die Gegenwart oder zumindest die jüngere Geschichte, die ihre Spuren in der Gegenwart hinterlassen hat. Olympia war/ist anders. Was sicher auch am Sport liegt, an meiner eigenen Sozialisation mit Stadien und deren Vergangenheit. Denn heute war ich im Urstadion, dort, wo alles anfing! Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass die Sportler ins Stadion laufen. Und die Zuschauer auf ein Rängen Daumen drücken. Das Zeus, der eine eigene Villa auf dem Gelände hatte, seinen Zorn versprühte. Ursprünglich waren die Olympischen Spiele ja ein kultisches Event. Und wurden erst später zum Pionier des Leistungssport. Ein erstaunliches Gelände, sorgsam ausgegraben, gut erhalten. Gelitten hat es vor allem durch Erdbeben, und auch die sind unvorstellbar lange her. Zugleich sieht es so aus, als sei alles erst gestern erst eingestürzt.

Das Örtchen neben der historischen Stelle ist dann wiederum ein Ausflug in die nackte Gegenwart. Es existiert nur für den Tourismus. Trotzdem ist es angenehm, wenn auch die Restaurants- und Geschäftsinhaber in der Nachsaison noch ein bisschen energischer um die spürbar weniger gewordenen Touristen werben. Und Sportkleidung gibt es natürlich auch - wenn auch ungewöhnliche. 



Das BUCH ZUR ALBANIENTOUR

2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.

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