Radfahren hat was bescheuertes. Heute zum Beispiel bin ich 25 Kilometer gefahren. Überschaubar. Ziemlich überschaubar. Es ging exakt 12 Kilometer bergauf und 13 Kilometer bergab. Ich fuhr los, überwand in etwas mehr als einer Stunde einen ziemlich giftigen Anstieg und insgesamt 412 Höhenmeter, um auf der anderen Seite gleich wieder runterzurasen.
Der Weg ist das Ziel? Ach, geht mir weg mit diesem esoterischen Quatsch! Das war knallharte Arbeit mit Steigungen zwischen 6 und 11 Prozent, und das in der prallen Sonne. Und wofür? Um dieses wunderbare Gefühl der Freiheit zu spüren, das nur das Radreisen schenkt, weil es reduziert auf das Wesentliche: den eigenen Körper und das eigene "Leiden". Bin ich nicht bereit, bewegt sich gar nichts.
Nun sitze ich im Fährhafen von Trpanj und warte auf die Abfahrt der Fähre nach Ploče. Es ist ein wunderbarer Sommertag, auf dem Kai tanzen zwei wild tätowierte Männer selbstvergessen mit einer Frau im schicken Kleid nach uraltem Rock'n'Roll und es ist so entspannt, wie es entspannt nur sein kann. Der Macciato kostet schlappe 9 Kunas (1,20 Euro), die Zeit scheint stillstehen und dass ich vor einer Stunde noch wie ein Wasserfall geschwitzt habe, als ich mich im Oma-Gang mit 11 km/h den Anstieg hochquäle, ist wie eine ferne Erinnerung.
Was heißt eigentlich Radreisen? Da hat sicher jeder seine eigene Definition. Ich folge über
Facebook einem deutschen Paar, das von Berlin nach Istanbul radelt. Sehr ursprünglich und beschaulich, fast immer irgendwo in der Wildnis übernachtend. Sie waren gerade in Bosnien und haben von der dortigen Gastfreundschaft geschwärmt. Nun sind sie in Albanien. Sie nehmen sich Zeit, lassen sich treiben, auch wenn es das große Ziel (Istanbul) gibt. Das ist ähnlich meiner Tour, wobei ich ja nicht einmal ein "End"ziel habe und auch keinen Rückkehrtermin. Ich bin sicher, das Herbstwetter wird mir irgendwann ein Zeichen geben, dass der Moment gekommen ist, die Rückreise anzutreten.
Die letzten Tage las ich den Reisebericht eines Engländers, der eine andere Definition von Radreisen hat. Er will täglich 100 Kilometer plus machen. Strecke ist sein Ziel. Das kenne ich von eigenen Reisen. Afrika und Südamerika ohnehin, denn da war ja auch ein Rennen drin versteckt. Aber auch die Tour de Britain, als ich jeden Tag ein festes Ziel hatte.
Diesmal habe ich bewusst entschieden, es anders zu machen. Denn 100 Kilometer am Tag lassen nicht mehr so irre viel Zeit für die Reise. Das Zentrum besteht dann aus Radfahren, und man fühlt sich immer ein bisschen unter Zeitdruck. Mit Gepäck geht es halt oft nur mit einem 20er Schnitt voran.
Der Engländer, dessen Buch ich lese, reiste von Albanien die Küste Kroatiens hinauf nach Trieste. Also in etwa meine Strecke, nur andersherum. Er brauchte sechs Tage. Ich nahm mir drei Wochen. Und bin sehr glücklich darüber, wenn ich seinen Bericht lese. Das wunderbare Split ließ er aus, weil zu groß. Šibenik ließ er liegen, weil kilometertechnisch ungünstig für sein Tagesziel. An Zadar fuhr er weiträumig vorbei. Die Insel Pag überquerte er im Sauseschritt. Abends suchte er fix einen Camping, ging rasch essen und fuhr am nächsten Tag weiter. Kann man so "reisen"?
Es ist ein Kompromiss zwischen Zeit, Ambitionen, Verlockungen unterwegs, dem passenden eigenem Tempo, die Bereitschaft zu Pausen sowie die zu Kontakten unterwegs, aus denen sich die persönliche Radreise zusammensetzt. Für mich ist es das erste Mal, dass ich nahezu ungeplant radreise. Es erinnert an lange vergessene Rucksackreisen, trampend oder per Interrail, wo die Begegnungen unterwegs die Ziele "vorgaben" (und ein bisschen der Fußball, der 1982 in Europa noch ein ganz anderer war als heute).
Und es fühlt sich großartig an, denn es gibt mir die Gelassenheit zu verweilen, während bei fest definierten Etappen wie in Großbritannien oder Albanien immer auch ein bisschen Ungeduld und Rastlosigkeit mitfuhren. Im Ziel ankommen, Zelt aufbauen, was essen, den Blog schreiben, schlafen. Dann weiter.
Ich bin sehr zufrieden, dass ich es diesmal anders mache, selbst wenn sich meine bislang absolvierte Strecke noch nicht arg so imposant liest. Die letzten beiden Etappen beispielsweise waren Urlaubsreisen mit "Höhepunkt". Am Dienstag brachte mich die Fähre von Split nach Vela Luka auf der Insel Korčula. Dort blieb ich eine Nacht, ehe ich am nächsten Morgen früh aufbrach, um über 44 Kilometer und rund 760 Höhenmeter auf die andere Seite zur Inselhauptstadt Korčula zu radeln. Es war ein Anstieg wie eine Treppe. Drei Kilometer mit acht Prozent hoch, dann drei Kilometer fast flach, erneut drei Kilometer steil hoch, flach etc. Über zwölf Kilometer zog sich der Treppenanstieg, dann ging es auf der anderen Seite wieder runter. Diesmal im freien Fluss, und nicht über Treppenstufen. War mir recht. In Korčula wartete schon die Fähre nach Oribić, wo ich die letzten beiden Strandtage einlegte. Korčula ist eine wunderbare Insel, sehr entspannt und grün, wild hügelig, voller Pinien-und Olivenwälder. Das Meer ist überall, die Zeit verzeitlupt
Mit der Überfahrt nach Ploče endet nun mein kleiner "Urlaub" im Radausflug und der "Ernst" beginnt - wobei man das jetzt auch wieder nicht allzu ernst nehmen sollte. Jedenfalls werde ich die kroatische Küste, entlang der ich seit fast drei Wochen mit zunehmender Begeisterung gekurbelt bin, morgen verlassen, um das nächste Land unter die Pneus zu nehmen: Bosnien-Herzegowina. Ploče, wo ich inzwischen in einer Pizzeria sitze, um diesen Bericht zu schreiben, gibt einen ersten Vorgeschmack auf das, was mich erwartet. Schlagartig ist die Urlaubsstimmung weg, dominiert Fernfahrerromantik und die Nüchternheit eines realkapitalistischen Alltags. Die Häuser aus dem Katalog des sozialistischen Wohnungsbaus, die Preise nur noch halb so hoch wie auf den Ferieninseln. Aus einer Bar nebenan hämmern die Beats, hat sich die aufgeregte Jugend Pločes zum Freitagabend versammelt, um das alte Spiel zwischen den jungen Geschlechtern zu spielen. Nach drei Wochen bin ich schlagartig im kroatischen Alltag angekommen!
Mein Reisebericht Albanien
2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.
Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.
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