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Barrage-Woche in Luxemburg

„Du musst unbedingt die Barrage-Woche bleiben, das ist die spannendste Woche im gesamten Fußballjahr von Luxemburg“, sagte man mir im Vorfeld meiner Planungen zur „Runn vu Letzebuerg“. Ich bin sehr dankbar dafür! Gestern Abend habe ich eines der verrücktesten Fußballspiele meines Lebens gesehen, heute werde ich beim erstmals seit 1985 vermutlich wieder ausverkauften Pokalfinale dabei sein und morgen sowie Sonntag stehen noch zwei weitere Highlights an. Wenn alles glatt gehen darf ich am Sonntag dann sogar der Rückkehr von Traditionsklub Avenir Beggen in die Zweitklassigkeit beiwohnen.

 

Auch die zweite Woche meiner Rundreise hatte eine hohe Schlagzahl was Orte, Begegnungen und Gespräche betrifft. Am Montag nahm ich meine Radrundreise in Mersch wieder auf und pedalierte über das postkartenidyllische Esch-sûr-Sauer nach Wiltz, wo Luxemburgs nördlichster Erstligist daheim ist und Ende 1944/Anfang 1945 die Ardennenschlacht auf das Bitterlichste tobte. Viel zu gucken und zu erfahren also in einer Stadt, die für luxemburgische Verhältnisse zudem eine hohe Arbeitslosenquote aufweist. Die Atmosphäre war vergleichsweise hart, wie auch das Radeln, denn die Stadt liegt an einem ziemlich steilen Hang. Da wurde jeder Ausflug zur Bergetappe. Im Stadtzentrum stand dann plötzlich ein Facebook-Bekannter und Zeitspiel-Abonnent vor mir, mit dem ich noch eine wunderbare Erinnerungsreise durch den luxemburgischen Fußball der 80er und 90er unternahm.

 

Tags darauf machte ich mich auf den Weg nach Diekirch im Landeszentrum. Erst ging es gemütlich entlang der Sauer, dann brachial auf einem winzigen Feldweg über schroffe und steile Hänge mit deutlich über 20 Prozent. Da war selbst das Schieben ein Kraftakt! Und als ich endlich alles überwunden und wieder Asphalt unter den Pneus hatte konfrontierte mich mein Fahrrad mit einer Reifenpanne. Eigentlich kein Problem, allerdings musste ich feststellen, dass meine Radpumpe kaputt ist. Und so marschierte ich in einem kleinen Dorf von Haus zu Haus, staunte über die überwiegend portugiesische Bevölkerung im ländlichen Raum und fand schließlich einen grummeligen Bauern, der mir die ersehnte Luft ins Hinterrad presste.

 

Ettelbrück und Diekirch waren beides: Anstrengend ob der zugestauten Durchgangsstraßen (häufig in Luxemburg), romantisch lieblich ob ihrer wunderschönen historischen Stadtkerne. Fußballerisch sind sie eher zu vernachlässigen. Ettelbrück ist letzte Woche aus der BGL League (1. Liga) abgestiegen, in Diekirch sind die „Young Girls“ erfolgreicher als die „Young Boys“. Beide Stadien sind langweilige Multifunktionsanlagen, gut gepflegt und sauber aber absolute Stimmungskiller.

 

Tag drei führte entlang der Sauer bzw. der Mosel von Diekirch nach Grevenmacher. Ein Traum! Über weite Strecken pedalierte ich auf einem wunderbaren Radweg entlang des Flussufers, sah grandiose Landschaften, romantische Dörfer und Natur pur. Echternach als touristisches Highlight konnte mit allem aufwarten, was man von der ältesten Stadt Luxemburgs erwarten kann, und in Rosport war ich endlich in jenem legendären Stadion auf dem Campingplatz, von dem die Groundhopper immer so schwärmen. Weiter ging es entlang der Sauer, an der die Folgen der großen Flut von 2021 noch überall zu sehen sind. Damals wurde hier alles mitgerissen von einem reißenden und zerstörerischen Strom, der mit Urgewalt in die Mosel schoss. Eine Katastrophe für die Menschen. Wasserbillig und mein Zielort Grevenmacher kamen eher nüchtern und geschäftig daher. Viel Verkehr, viel Lärm, auf die Ortszentren konzentrierte Romantik. Es herrscht der kleine „große“ Grenzverkehr, und ich sah mehr Autos mit „TR“-Kennzeichen als Luxemburger. Die meisten warteten vor Tankstellen, der fossile Brennstoff ist in Luxemburg deutlich günstiger zu haben als in Deutschland.

 

Der Campingplatzwirt in Grevenmacher hatte dann eine besondere Überraschung für mich parat: Rom Schreiner, einst Nationalspieler für Luxemburg und bei allerlei Vereinen als Spieler wie Trainer tätig. Er erzählte von Traumreisen mit der Nationalmannschaft nach Thailand; seinem Tor beim 2:6 gegen Ungarn und dem Auf- wie Abstieg des Fußballs in Grevenmacher.

 

Weiter ging es am nächsten Tag. In Sandweiler stattete ich dem deutschen Soldatenfrieden einen Besuch ab, in Hesperingen erwarteten mich der Fan-Club-Boss sowie der Klubchef des FC Swift zum Gespräch. Der neue Meister ist der neue Stern am Luxemburger Fußballhimmel. Das verdankt man nicht zuletzt Flavio Becca, Hesperinger Junge, der die F91 Düdelingen zu großen Europapokaltaten führte und auch in Kaiserslautern mitmischte. Nun will er seinen Heimatverein zum erfolgreichsten in Luxemburg aufbauen und auch in Europa für Furore sorgen. Wie immer ist die Geschichte von Fußball und Investor vielschichtig und nicht eindeutig in schwarz und weiß zu unterteilen – ausführlicher dann im Buch.

 

Der Abend bescherte mir das angesprochene Barrage-Spiel zwischen Erstligist CS FOLA Esch und dem Zweitligadritten FC Jeunesse Canach. Gespielt wurde im Stade Achille Hammerel, dem alten Union-Platz in Verlorenkost hinter dem Luxemburger Bahnhof. Fast 2.000 Menschen kamen und verbreiteten eine phantastische Stimmung. Zwei extrem engagierte Fanblöcke, zwei extrem engagierte Mannschaften und ein extrem spannendes Spiel bescherten mir ein echtes Highlight meiner Karriere als Fußballfan. Selten hat mich ein Spiel zweier mir unbekannter Mannschaften derart mitgerissen. Alle kämpften um alles, und die Torfolge verrät einiges von der unfassbaren Dramatik der Begegnung. 1:0 Canach, 1:1 Fola, 2:1 Fola, 2:2 Canach, 3:2 Canach (in der zweiten Minute von drei angezeigten Nachspielminuten), 3:3 Fola (quasi mit dem Schlusspfiff). Ein Wechselbad der Gefühle, bei dem das altehrwürdige Stadion wahrlich tobte. Canachs Anhang hatte schon seine Jubelbengalos gezündet, als das 3:3 fiel und die Verlängerung kam. In der ging es weiter hin und her, wobei die Kräfte sichtlich schwanden. Am Ende setzte sich Fola glücklich aber nicht unverdient durch, wobei dies ein Spiel war, das keinen Verlierer hätte haben dürfen. Es ging aber um Sieg oder Niederlage, und so mussten die tapferen und glücklosen Jungs aus Canach, die sich schon als Erstligist gewähnt hatten, als Verlierer abreisen. Ein Spiel für die Geschichtsbücher, was beim Zweitligisten niemanden trösten wird.

 

Heute nun steht das Pokalfinale zwischen dem FC 03 Differdange und Erstligaaufsteiger FC Marisca Mersch an. Seit 1985 war kein Pokalfinale in Luxemburger mehr ausverkauft. Heute könnte es mal wieder so sein. Allein aus Mersch, 6.000 Einwohner, kommen 3.500 Fans. Es wird ein echtes Fest für den Luxemburger Fußball und zudem ein Beleg, dass der Fußball unterhalb der Glitzerebene vor allem dann lebt, wenn er lokal wird. Wie in Mersch, wie in Canach und auch wie bei FOLA, wo zehn Spieler der glücklichen Siegerelf aus dem eigenen Nachwuchs stammen. „Die musst unbedingt die Barrage-Woche mitnehmen“, hatte man mir gesagt. Ich bin sehr froh, dass ich darauf gehört habe.

 

 

Äddi ciao aus Esch-sur-Alzette, euer hardy cyclist

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