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Balkan Beats Etappen 24 und 25

Nach drei Tagen des Füßescharrens hieß es am Samstagmorgen endlich "put me back on my bike"! Das rotierende Mittelmeertief hatte mich endgültig ausgebremst. Wahre Sturmfluten schossen in Kyrpassia vom Himmel, auf meinem Handy ging eine offizielle Warn-SMS der Regionalverwaltung ein und der Wind fegte überall Bäume um. Drei Tage des erzwungenen Stillstands, die meinen Reiseflow, der seit der Ankunft in Griechenland vor mehr als einer Woche aufgrund der Wetterkapriolen ohnehin beeinträchtigt war, vollends stoppten.

Regen und Sturm sind keine guten Begleiter für den Radreisenden; noch weniger für den Camper. Also hieß es, feste Unterkunft suchen, ausharren und die Zeit sinnvoll nutzen. Ich tat dies, indem ich mich einer Aufgabe zuwandte, die ich seit Längerem vor mir herschob: die Auffrischung der Zeitspiel-Website. Dafür immerhin war das raue Wetter dann gut, denn es schenkte mir Zeit, Muße und Konzentration, die Dinge von Grund auf zu denken. Wer das Ergebnis mal sehen will schaut hier: www.zeitspiel-magazin.de.


Naturgemäß gibt es wenig zu berichten von unterwegs, insgesamt habe ich nur knapp 130 Kilometer fahren können. Die Etappe von Olympia in mein Sturm-Exil Kyrpassia war eher nüchtern. Zunächst ging es noch fröhlich hoch und runter durch ein welliges Hinterland, dann traf ich auf die Küstenstraße, und die war vor allem eins: langweilig. Nichts zu sehen von der berühmten griechischen Schönheit, zumal das Wetter alles mit einem grauen Himmel ausmalte und regelmäßige Regenschauer schickte. Ich kurbelte an Urlaubsstränden vorbei, die verwaist waren, ich sah eine Menge eingefallener Gebäude und ich traf nahezu überall auf aufgeregte Hunde, die meine Ankunft ziemlich in Erregung versetzte. Die meisten kläfften immerhin eingezäunt auf ihren Besitztümern, doch vereinzelt streunten sie auch über die Straßen und verbreiteten ihren Bell-Terror. In fast jedem Fall genügte es, mich aufzurichten und ein bisschen drohenden zu rufen, dann war die Hierarchiefrage geklärt. Nur ein kleiner Kläffer meinte, mich wild verfolgen zu müssen. Doch dazu waren seine Beine dann wieder zu kurz und meine zu trainiert.


In Kyrpassia traf ich auf Flavio, einen jungen Schweizer, der bereits seit vier Monaten radelnd unterwegs ist und sich auf dem Heimweg nach Bern befindet. Wir verstanden uns auf Anhieb und verbrachten während der drei Regen- und Sturmtagen viel Zeit miteinander, um über das Geschenk des Radreisens, die unterschiedlichen Perspektiven eines 28-jährigen und eines 58-jährigen, die Veränderungen im Fußball sowie die Unterschiede zwischen den politischen Verhältnissen in der Schweiz und in Deutschland zu philosophieren. Spannend für mich war, dass er Deutschland als geschlossenes Land wahrnimmt, während ich dank der Gnade der frühen Geburt die Zustände anders kenne und ihm die komplizierte Vielschichtigkeit des Landes vor allem zwischen West und Ost etwas näherbringen konnte. Im Vergleich zur Schweiz sind die letzten gut 120 Jahre in Deutschland schließlich ungleich turbulenter und umwälzender gewesen. Auf der anderen Seite erfuhr ich, dass man in der Schweiz beispielsweise ganz anderes Bild von "Kommunismus" hat, der nicht annähernd so bedrohlich wahrgenommen wird wie es in Deutschland von konservativen Kreisen geschieht. Angesichts der unterschjiedlichen politischen Vergangenheiten ja durchaus nachvollziehbar.

Ansonsten beschäftigte ich mich ein wenig mit einem Vorab-Resumé. Ursprünglich hatte ich ja über Serbien, Kosovo und Mazedonien nach Griechenland fahren wollen. Im Rückblick war es sicher eine gute Entscheidung, das nicht getan zu haben. Zum einen das Wetter, das vor allem in Serbien noch viel wilder tobte als hier unten in Griechenland. Während es auf Peloponnes immerhin um die 20 Grad hatte, waren es auf meiner anvisierten Strecke über Uzice, Novi Pazar, Prishtina oft nur fünf bis acht Grad. Das wäre kein Spaß gewesen! Zum anderen wegen erneut aufflammender politischer Brisanz. Mehrere Grenzübergänge im Nordkosovo sind seit Wochen blockiert, weil serbische Kosovaren gegen eine Regelung protestierten, wonach Autos mit serbischen Nummernschildern nicht mehr einreisen dürfen (sie müssen ein kosovarisches Behelfsschild kaufen). Kosovos Antwort auf eine vergleichsweise Praxis Serbiens, die dort trotz kosovarischer Proteste schon länger in Kraft ist. Mehrere Grenzübergänge sind blockiert, die Armee ist in Alarmbereitschaft versetzt, es gab vereinzelt Auseinandersetzungen. Immerhin gibt es Verhandlungen, doch die Lage zeigt, wie fragil dort alles ist.

Und auch in Bosnien-Herzegowina sind die ethnischen Spannungen wieder deutlicher zu spüren. In Mostar wie Sarajevo hatte ich bereits erfahren, dass sich alle drei Seiten ziemlich unversöhnlich gegenüber stehen und die Frage nach einer geeinten Zukunft des Landes mehr als nur in der Schwebe ist. Immer wieder gibt es vor allem seitens der serbischen Einwohner der Republika Srpska Forderungen und Bestrebungen nach einem Anschluss an Serbien. Das folgt nicht zuletzt der ursprünglichen Politik von Slobodan Miloševic, einen Staat zu schaffen, in dem alle Serben vereint sind. Erneut droht vor allem die bosniakische (muslimische) Bevölkerung zwischen die Mühlsteine zu geraten, und es gibt nicht wenige Beobachter, die einen erneuten Krieg befürchten. Wie es weitergeht steht völlig in den Sternen. Vermutlich wird es eines Tages zur Abtrennung der Republika Srpska kommen, was dann zweifelsohne sofort kroatische Forderungen nach Abtrennung der kroatisch besiedelten Landesteile aufkommen lassen wird. Es ist eine schwelende Wunde mitten in Europa, die durch Massenauswanderung vor allem junger und gut ausgebildeter Bosnier nicht besser wird.


Am Samstagmorgen ging es dann endlich zurück aufs Rad. Die kleine Burgstadt Methoni an der Südküste des linken "Fingers" von Peoloponnes war mein Ziel. Ein uralter Ort, der einst strategisch wichtig war, weshalb es eine immer noch sehr gut erhaltene Burg aus dem 15. Jahrhundert dort gibt. Heute ist Methoni vor allem Touristenort, und als solcher beliebtes Ziel von Wohnmobilisten aus den deutschsprachigen Ländern. Es herrscht eine skurrile Stimmung. Im Dorf, etwa einen Kilometer vom Strand entfernt, sitzen die Einheimischen in den Tavernas, am Strand vertreiben sich die Wohnmobilisten in schicken Cafés und Restaurants ihre Zeit. Allerdings ist auch hier die Saison ziemlich vorbei. Bis Ende Oktober, so heißt es, haben vereinzelte Campings noch auf, danach wird überall zugesperrt. Endzeitstimmung im südlichen Europa.

Dass die Region Hochburg der Olivenölproduktion ist konnte ich schön auf den etwa 60 Kilometern von Kyrpassia hierher erkenne. Teilweise fuhr ich kilometerlang durch Olivenbäume, an denen überraschend kleine Früchte hingen. Erst in der Ochsenbauchbucht kippte das Bild dann. Die berühmte Bucht bei Pýlos wird gerade zum Ressort für den Luxustourismus umgebaut. Ein riesiger Golfplatz mit gritzegrünem Rasen existiert bereits, zahlreiche Bungalows im Luxusstil entstehen an den Hängen. Es ist die übliche Crux, denn das anvisierte Klientel wird einerseits Geld reintragen, andererseits aber auch vieles verändern. Eine hochgelobe Küstenpiste, über die ich eigentlich nach Pýlos fahren wollte, war bereits gesperrt, weil sie nun zum hermetisch abgeriegelten Golfplatz gehört. Weitere Vorboten einer fundamentalen Veränderung durch das zunehmend kippende ökonomische Gleichgewicht zwischen jenen, die sich alles leisten können und jenen, die das nicht können? In meinen Augen ist die Verteilung des Reichtums eine der drängenden Fragen der Zeit, an der viele andere Fragen dranhängen - nicht zuletzt ökologischer Natur. 

Meine Balkanreise neigt sich unterdessen allmählich ihrem Ende zu. Der Herbst ist bereits deutlich spürbar, und das Ende der Campingsaison zum 31. Oktober setzt mir ein strenges Datum: danach wird es schwierig. Ich werde die nächsten Tage ein bisschen auf den drei Fingern des Poloponnes umherkurbeln und dann schauen, wie ich nach Athen komme, wo am 31. Oktober u.a. der Fußball-Schlager AEK gegen Aris ansteht.

Kommt gut in den Herbst, euer hardy cyclist 


Das Buch Zur Albanientour

2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.

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