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Balkan Beats Etappen 16 und 17

Also so wird das nichts mit uns, Montenegro. Dein wilder Verkehr macht mich kirre (und Angst), Du verkaufst Dich offensichtlich gerne an das große Geld und pflasterst Deine Küste mit immer mehr seelenlosen Hotelbunkern voll. Ja, Du bist ausnehmend hübsch, aber es kommt mir ein bisschen so vor, als sei es vor allem eine Hülle. Nur gucken, nicht anfassen. Und vor allem nicht anheben und druntergucken. 

Ihr seht schon, meinen Frieden habe ich mit Land Nummer 4 auf meiner Balkan-Reise nicht gefunden. Die heutige Etappe von Kotor nach Bar war sogar die erste seit fernen Zeiten in Afrika, bei der ich wirklich Angst um mein Leben hatte. Die Zahl der rücksichtslosen und aggressiven Autopilot*innen war absurd hoch. Wie viele Autos aus dem Gegenverkehr ausscherten und in Affenzahn hauchdünn auf meiner Spur an mir voreirasten, um zu überholen, kann ich gar nicht mehr zählen. Mindestens zweimal blieb mir jedenfalls das Herz stehen, weil man in Montenegro auch noch gerne die fettesten SUVs steuert, die ohnehin wie Panzer wirken, für die die Straßen aber eigentlich zu schmal sind. Stellt Euch vor, so ein Geschoss kommt mit röhrendem Motor auf euch zugerast und ihr habt nur eure winzige Fahrspur... Tunnel gab es auch reichlich, und wieviele Dieselabgase ich eingeatmet habe möchte ich gar nicht wissen. Spass gemacht hat heute jedenfalls verdammt wenig.

Erstaunlich: normalerweise sind die Harakiri-Piloten immer Männer. Nicht in Montenegro. Hier fahren die Frauen genauso rücksichtslos und beherrschen mit ihren Blechbüchsen den gesamten Verkehr. Wie kann das sein, dass ein kleines Land, das lange Teil von Jugoslawien war, so andere Sitten im Straßenverkehr pflegt? In Bar, wo ich grad bin, traf ich einen Schweizer Fernradler, der grad aus Albanien kam und meinte, das ginge irgendwann nach der Grenze los. Witzig auch: während er über Albanien schimpfte (zugemüllt, wurde ständig abgezockt), schimpfte ich über Montenegro. Weltenbummler unter sich.

In Bar bin ich gelandet, weil es mal wieder an den großen Plan gehen musste. Ein Tief zieht an und wird den Balkan morgen mit voller Wucht treffen. Donnerstag soll es auch noch pausenlos regnen, danach ist Herbst angesagt. Zumindest vorübergehend. Einhergehend mit meinem leichten Widerstreben, erneut durch Albanien zu radeln (das kenne ich schließlich schon), reifte der Plan, über Bande zu spielen. Nun geht es morgen per Fähre nach Bari und am Donnerstag von dort nach Patras. Das lässt mir Zeit für Griechenland, auf das ich sehr gespannt bin. Und erleichtert mich ein bisschem, denn abgesehen von zwei Kilometern zur Fähre erspare ich mir damit weitere Schreckmomente im montenegrinischen Verkehr.

Mich lässt dieses Land bislang ratlos. Ich vermisse die fröhliche Gemeinschaft und Aufgeschlossenheit von Kroatien und vor allem Bosnien. Hier geht es oft wortkarg, ein bisschen schroff zu. Manchmal regelrecht unfreundlich. Vielleicht lag es ja auch an Kotor, zweifelsohne ein besonderer Ort. Gestern erfuhr ich, dass die Bewohner der Häuser nahe der Altstadt alle noch andere Häuser in den Außenbezirken haben. Sie nutzen die in/an der Altstadt nur für den Tourismus. Und dessen Saison geht nun zuende, weshalb viele in ihre Winterdomizile wechseln. Das hat aber noch einen weiteren Grund: weil die Felswände um die Stadt sehr steil sind und die Lage zwischen den  Bergen zu Starkregen führt, ist das alte Kotor im Herbst/Winter oft von Überflutungen geplagt. Das ist dann wiederum ein Segen für die Natur, denn die vielfotografierte Lage sorgt dafür, dass das Wasser in der Bucht je nach Sommer spätestens im August mausetot ist und dringend erfrischendes Regenwasser braucht. Soviel zum Idyll.

Kotor kam mir vor wie eine riesige Blase, die sich immer wieder selbst befruchtet. Am Strand Rucksackreisende der Generation Instagram, die ebenso unter sich blieben wie die Kreuzfahrer, deren Riesenkähne für ein eigentümliches Bild im eher kleinen Kotor sorgen. Alle bleiben unter sich, die Kreuzfahrer mit geradezu frappierender Konsequenz als Grüppchen mit Fahnenmännchen vorneweg. Der besuchte Ort als Kulisse für die Gespräche beim Abendessen auf dem Schiff? Nimmt man dabei irgendetwas vom Umfeld wahr, vom Lebensalltag der Menschen? Meine Art zu reisen ist es nicht. Angefeuert wird der Hype um Kotor von den Verkündern des "been there"-Reisen, von denen gestern ein kleines Kamerateam am Strand auftauchte, fünf Minuten für reichlich Wirbel sorgte und wieder verschwand. Sie wirkten allesamt gehetzt und extrem genervt.

Sorry für meinen negativen Unterton, über den ich mir sehr wohl bewusst bin.

Meinen wortwörtlichen Höhepunkt in Kotor hatte ich gestern vormittag. 20 Kilometer, 900 Höhenmeter, Serpentinen wie aus dem Bilderbuch und insgesamt 25 Spitzkehren. Das ganze mit einem schweißtreibenden Start und dann meistens so um die vier bis sechs Prozent Anstieg - also angenehm. Jeder Spitzkehre führte mich höher hinauf und ließ das eindrucksvolle Panorama weiter wachsen. Es war ein Gipfelsturm der besonderen Art, zumal ich ihn ohne Gepäck anging. Macht am Berg schon einen gewaltigen Unterschied, so ein paar schmale Taschen am Rad mit jenen paar übersichtlichen Dingen, die ich inzwischen alle ein bisschen satt habe. (drei Shirts, ein kurze Hose, eine lange Hose/bislang ungebraucht/ für die Freizeit, zwei Radshirts und Hosen für die "Arbeit").


Nachdem ich Budva (viele Hotelkomplexe), Bečići (dito), das berühmte Sveti Stefan mit der vorgelagerten Insel (die sich offenbar in Privatbesitz befindet) und das wirklich schöne Petrovac na Moru durchkurbelt habe bin ich also in Bar gelandet, wo mich ohne die Fährfahrt und den angekündigten Dauerregen wohl nichts hingetrieben hätte. Bar als schön zu bezeichnen wäre gewagt. Die Magistrale, die die Autobahn an der Küste ersetzt, geht mitten hindurch und verpestet die Luft. Die Kulisse zeigt mondäne Protzbauten, darunter eine riesige Kirche mit goldenen Türmen (Bar war dereinst Vorposten gegen die osmanische Besetzung), die Flutlichtmasten des örtlichen Fußballstadions und verdammt viel zerbrochenen oder verblichenen jugoslawischen Schick. Als wisse die Stadt nicht, was sie sein wolle - oder könne. Der Strand besteht aus dicken Kieseln und ist insofern eher weniger attraktiv, die Straße verbreitet Hektik. Wer in Montenegro Strandurlaub machen will kommt sicher nicht nach Bar. Dafür gibt es ein eigenes Flair. Es ist dezidiert melancholisch, wozu auch viele russische Urlauber beitragen. Auch das ein Unterschied zu Kroatien, wo die Leichtigkeit in der Luft lag. Hier ist es eher Schwermut, wobei ich das durchaus mag. Auffällig die vielen jungen Familien mit Kindern. In Bar könnte man jedenfalls nicht auf den Gedanken kommen, dass die ein Einwohnerzahl vieler Balkanländer gegenwärtig zurückgeht.

Monenegro macht sicher sehr viel richtig, denn das Land wirkt vergleichsweise wohlhabend, aufgeräumt und sauber. Die meisten Autos sind jüngeren Datums, es wird viel gebaut. Und mit der Küste und dem Bergpanorama direkt dahinter hat das Land ja auch enormes Potenzial. Dass man es abzuschöpfen versucht, ist nur legitim. Auch wenn es seinen Preis kostet. Das zu bewerten steht mir nicht zu.

Mit Montenegro habe ich zugleich den südlichsten Zipfel Ex-Jugoslawiens erreicht. Insgesamt bin ich sehr angetan von allem und habe eine Menge Orte auf der imaginären Wunschliste, die ich gerne aufsuchen würde. Vom Landesinneren habe ich wenig gesehen, in Serbien war ich gar nicht. Meine Städtehighlights waren Split und Mostar, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Split für den unschlagbaren Vibe, Mostar für die Resilienz, das Trauma der Belagerung und Zerstörung überwunden zu haben. Es ist die Stadt, in der ich mich bislang am Wohlsten gefühlt habe. Bei den Insel gewinnt in meiner persönlichen Hitliste Rab vor Pag und Korčula. Krk war mir zu voll, andere konnte ich wegen des eingeschränkten Nachurlaubsfährplan nicht besuchen. Die Vielfalt unter den Inseln ist jedenfalls bemerkenswert. 


Und nun das nächste Kapitel auf der #BalkanBeats-Tour 2021: Griechenland!


Das Buch Zur Albanien-Tour

2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.

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