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Balkan-Beats Etappen 5 und 6

Von Krk über Rab nach Pag. Klingt wie eine lustige Buchstabenkette und ist Inselhopping par excellence. Nach einer welligen 15-Kilometer-Kurzetappe im Süden von Krk brachte mich die Fähre von Valbiska nach Lopar auf Rab, wo mich nach zwei astreinen Hochsommertagen das erste Herbsttief mit reichlich Regen einholte. Die nach Megasommer ausgedörrte Gegend kann es gebrauchen, als Radler und zudem Camper eher suboptimal.

Doch meine Planung war perfekt, denn ich verließ Lopar, wo ich zwei Tage in der unerträglichen Leichtigkeit des Seins eines Strandurlaubers verbracht hatte, just vor dem großen Regen und kam vor jenem in der Inselhauptstadt Rab an, wo ein winziges Fährboot um 17 Uhr Richtung Lun auf Pag auf mich wartete. Statt gemütlichem Sightseeing war während der Wartezeit zwar vornehmlich Regenschutzsuche angesagt, doch insgesamt kam ich nahezu trocken durch den wetterwilden Tag.


Das änderte sich nach der knapp halbstündigen Bootsfahrt, denn Lun, an der Nordspitze Pags hoch über dem Meer gelegen, will wahrlich erobert werden. Vom Bootshafen auf die Hochebene über drei Kilometer mit sieben und mehr Prozent - ich brauchte keinen Regen mehr für nasse Klamotten. Zudem war ich etwas in Zeitdruck, denn es war inzwischen fast 18 Uhr, und um 19 Uhr sollte die Sonne untergehen. Dazwischen lagen noch 20 recht wellige Kilometer, auf denen ich kräftig reintrat, um tatsächlich nach knapp 58 Minuten im Dämmerlicht in Novalja anzukommen.


Mit dem Gepäck zu fahren ist schon ein interessante Erfahrung für mich als Leichtgepäck-Rennradler. Bergab ist es der Hammer. Kette rechts, den Schwung nitnehmen und dann auf 50 km/h beschleunigen. Nur fliegen ist schöner, und die Straßenlage des bepackten Gefährts (ich hab so um die 18 Kilo Zuladung, was zuviel ist, weshalb demnächst aussortiert wird) ist grandios. Bergauf ist eine ganz andere Geschichte. Oft werde ich unmittelbar im Abstieg von der Schwerkraft quasi runtergebremst, und den Schwung mitzunehmen funktioniert nur leidlich. Da hilf dann nur Kette links und Geduld. Problem: wenn es ganz steil wird, ist die gerade Fahrlinie kaum noch zu halten und man eiert ein bisschen herum. Das ist dann auf den engen Straßen nicht ohne, zumal das Fahrrad in Kroatien wie ja quasi überall bei Autofahrern in der Welt ein rotes Tuch ist. Da wird dann schon mal wütend gehupt, während ich mit fünf km/h und hochrotem Kopf den Anstieg hinaufschleiche, weil das PS-Mobil vermeintlich zu wenig Platz zum Überholen hat. Bis zur Verkehrswende dauert es wohl noch ein bisschen...


Radler sind hier übrigens durchaus unterwegs, wobei es vorwiegend Touristen sind. Gelegentlich Radnomaden wie ich, mit Gepäck und Drahtesel ohne E-Unterstützung. Meistens jedoch schnurrende E-Bikes, die den Urlaub offenbar für viele Menschen fundamental verändert haben, denn sie verschaffen ihnen Reichweite. Ich finds prima, das Auto bleibt beim Hotel oder auf dem Camping und die Gegend wird mit dem E-Bike erkundet. Perfekte Lösung!


Am Strand von Lopar zu liegen und über den Krieg in Jugoslawien zu lesen hat etwas sehr absurdes. Lopar liegt auf der Insel Rab und ist ein friedliches Stück Land an der Nordküste der kleinen Insel, wo es im normalerweise eher steinigen Badestrandland Kroatien ausnahmsweise Sandstrände gibt. Ein Paradies vor allem für Familien mit sehr kleinen Kindern, denn das Wasser ist hier ziemlich flach. Es ist Nachsaison, überall wird eingepackt, macht sich ein bisschen Wehmut breit. Auf dem Camping spricht jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin die üblichen Sprachen. Begegne ich Mitcampern, wird gleich auf Deutsch gegrüßt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es passt liegt bei 90 Prozent. Noch so ein Teutonengrill also. Aber ein netter zum Runterfahren nach einer bislang noch ziemlich entspannten Urlaubsradtour.


Das kroatische Festland liegt gegenüber und ist gut zu sehen. Mächtig zieht sich die Bergkette in der Höhe. Vor 30 Jahren gehörte die Region zu den umkämpften Gebieten. Die Stadt Knin, etwa 100 Kilometer weiter südlich auf Höhe Zadar in den Bergen gelegen, war eine der ersten Orte, wo Serben und Kroaten 1991 aufeinander schossen. Daraus entwickelte sich die von niemanden (nicht mal Belgrad) anerkannte "Republik Serbische Krajina". Der Tourismus war damals in dem, was noch Jugoslawien war, bereits weitestgehend zum Erliegen gekommen. Im Krieg lässt es sich nicht gut Urlauben. Auf der sicheren und nicht umkämpften Insel Rab aber ging es weiter, sonnten sich die Urlauber am Strand, während im Hintergrund Geschützdonner und Granateneinschläge zu hören gewesen sein müssen. Unvorstellbar.


Für die aktuelle Ausgabe von Zeitspiel habe ich mich lange mit dem Jugoslawien-Konflkt beschäftigt. Im Grunde genommen entwickelte sich daraus sogar die Idee zu dieser #BalkanBeats2021-Tour. Ich schaue mir gerne an, worüber ich lese und lerne. Im Heft rekonstruieren wir die Entwicklung im Jahr 1991, als Roter Stern Belgrad den Europapokal der Landesmeister gewann und Jugoslawien ohnmächtig in den Krieg taumelte. Und sein Fußball gleich mit. Bzw. als Brandbeschleuniger, denn Fußball eignet sich (leider) auch ausgezeichnet als Werkzeug für Nationalisten und Populisten. Aus fröhlichem Sport wird dann Haß. So wie 1991 in Jugoslawien.


Je mehr ich über die Entwicklung und Hintergründe des Zerfalls lernte, desto geschockter war ich. Natürlich hatte ich 1991 alles aus der Ferne verfolgt, doch der Blick zurück ist ein anderer, denn dann ist das Ende ja bekannt. Wir wissen heute, was damals in Vukovar, Dubrovnik, Srebrenica etc. wirklich geschah. 

Der Blick zurück schenkt uns insofern Erkenntnis - wenn wir bereit sind, hinzuschauen. Die ethnische Spaltung Jugoslawiens wurde ab Ende der 1980er Jahre vor allem von Slobodan Miloševic (Serbe) und Franjo Tuđman (Kroate) losgetreten, verschärft und manipuliert. Basis war nicht zuletzt eine nie aufgearbeitete Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg, als Kroaten und Serben gegenseitig Massaker aneinander verübten, was Tito nach dem Krieg durch sein aufoktroyiertes und heiliges "Freiheit und Brüderlichkeit" zu verdrängen versuchte. Vergeblich. Ende der 1980er Jahre steckte Jugoslawien in einer schweren Wirtschaftskrise und war zudem gespalten in den vom Tourismus profitierenden Norden bzw. der Küstenregion sowie dem armen und rückständigen Hinterland.


Populismus, massiv zensierte Medien und das Fehlen von verantwortungsvollen Politikern, die einen Ausgleich anstrebten brachten einen Prozess in Gang, den man sich im Europa der Zivilisation nicht mehr hatte vorstellen könne. Das brutale Vorgehen auf beiden Seiten gegenüber dem "Gegner" (wobei der auch Zivilpersonen, Greise und Säuglinge umfasste), die brutale Unterdrückung jeglicher Friedensbemühungen, denen massive Kriegspropaganda gegenübergestellt wurde schürten Angst auf allen Seiten und wurde von Miloševic wie Tuđman gezielt in Haß kanalisiert. Die Jugoslawien-Kriege zeigen, wie rasant ein Land in einen Konflikt geraten kann, in dem aus Nachbarn Feinde werden, die und unvorstellbare Gräueltaten verüben.

Ich lese gerade das Buch "Ab heute ist Krieg. Der blutige Konflikt im ehemaligen Jugoslawien" von der ZDF-Korrespondentin Susanne Gelhard die darin von ihren Reportagen im Kriegsgebiet 1991 und 1992 berichtet. Ein Buch, das zutiefst betroffen macht und zugleich den ganzen Wahnsinn beleuchtet, der sich vor 30 Jahren hier abspielte. Während die Urlauber am Strand von Lopar die Sonne und das Meer genossen. Es war ein Krieg ohne Regeln, ohne Moral, ohne Skrupel, ohne Grenzen. Krankenhäuser wurden angegriffen, historische Altdtädte wie Dubrovnik bombardiert, Journalisten gezielt angegriffen, die EU ständig an der Nase herumgeführt. Von um ihre Macht fürchtenden Populisten angezettelt, wurde er von brutalen Milizen durchgeführt. Fußballfans werden die Geschichte von Arkan kennen, dem ehemaligen Roter-Stern-Fanführer, der zum gefürchteten Milizenführer wurde. Die Jugoslawienkriege waren in ihrer Zusammensetzung ohne Beispiele. "Niemand dachte an danach", heißt es im Buch. Ein Krieg, wie ein entfesseltes Monster.


Der Krieg wird mich die nächsten Wochen begleiten, denn ich will mich auf die Suche  begegeben nach den Wunden und den Folgen. Heute geht es nach Zadar, auch das eine damals umkämpfte Stadt mit historischer Altstadt. Ein kleines Fragezeichen liefert erneut das Wetter, das ziemlich gewittrig unterwegs ist. Immerhin gibt es deshalb diesen Bericht, denn ich warte grad in Novalja auf den nächste Blitz- und Donnerzauber, nach dem ich mit dann auf die 72-Kilometer-Tagesetappe machen werde.


Mein Reisebericht zur Albanien-Tour 2019

2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.

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