Tour d'OSTalgie, Espenhain - Eilenburg

Frage an die Community: welcher der nachfolgenden Orte war zu DDR-Zeiten der erfolgreichste (unter ihnen) im Fußball: Eilenburg, Grimma, Bad Lausick, Wurzen oder Kitzscher?


Es war nicht Eilenburg, und auch nicht Grimma, wie man vermuten könnte, sondern Wurzen. Zwischen 1952 und 1959 spielte man in der Ringelnatzstadt zweitklassig und wurde 1954 und 1955 jeweils Dritter.

Auf Platz zwei folgt dann Kitzscher, heute knapp 5.000 Einwohner stark, wo die gestern besuchte BSG Aktivist Espenhain zwischen 1975 und 1981 Ligafußball anbot. Größter Erfolg war Platz vier 1977/78, und natürlich, die Liga lief damals fünfstafflig, es war also eine enorme Verwässerung des Oberligaunterbaus. Dennoch: Kitzscher! Schon mal gehört? Ich hatte noch nicht viel davon gehört.

 

Heute Morgen lag der Ort als erste Station auf meiner Route. Als ich nach knapp acht Tageskilometern dort ankam, dachte ich, ich bin im Ruhrpott. Bergmannshäuser an beiden Seiten der Straße, ein dichtbewachsener Erholungspark im Ortszentrum und gleich drei Fußballplätze aus unterschiedlichen Generationen. Kitzscher, eine Großgemeinde des Fußballs!

 

Zu den großen Zeiten der BSG Aktivist Espenhain, als, ich habe es gestern schon geschrieben, bis zu 8.500 Werktätige im Braunkohle-Kombinat arbeiteten, gab es zudem ausgedehnte Plattensiedlungen im Norden der Gemeinde, um das Personal und seine Familien unterbringen zu können. Die sind längst wieder abgerissen, wie auch das Kombinat, dessen Fläche teilweise denaturiert wurde, teilweise noch als Gewerbegebiet fungiert. Heute ist Kitzscher daher eine ziemlich entspannte Landgemeinde mit Bergmannsflair.

 

Aber warum drei Plätze, zu denen ja auch noch das Stadion in Espenhain kommt? So genau wusste das niemand, weder der hilfsbereite Platzwart am Johannes-Oberscheven-Stadion, der einstigen Aktivist-Liga-Spielstätte, noch ein älterer Herr, der gerade vor dem Stadion sein Altglas wegwarf und sich gebürtiger Kitzscher entpuppte. Wir kamen flott ins Gespräch und er ließ mich an seinem Wissen teilhaben. Der älteste Platz war zur DDR-Gründung schon da, das Johannes-Oberscheven-Stadion entstand in den 1950er Jahren und ist nach dem ehemaligen Espenhainer Erfolgstrainer benannt. Der dazwischen liegende Platz in der Mitte wiederum entstand durch Zufall. Weil das Flüsschen Eula hinter den drei Plätzen regelmäßig über die Ufer ging und der Grundwasserspiegel ohnehin hoch war, hatten viele Anwohner (darunter mein Gesprächspartner) ständig Wasser im Keller, das durchs Mauerwerk drückte. Um das abzustellen füllte man den Uferbereich mit Schutt, planierte alles, legte schwarze Asche obendrauf, stellte ein paar Geländer drumherum und hatte einen weiteren Fußballplatz, den niemand brauchte und der nach Erinnerung meines Informanten auch nie ein Ligaspiel sah.

 

Wir unterhielten uns eine knappe Stunde über Fußball und Alltagsleben in Espenhain, über die Wende und über das Bild, das man „im Westen“ „vom Osten“ hat. Dieses Thema erregte ihn am Stärksten. Ich konnte es durchaus nachvollziehen, denn ich erschrecke mich auch regelmäßig über fragwürdige Ansichten zum „Osten“ von Mitgliedern meiner bundesrepublikanischen (alten) Landsmannschaft. Der Osten war eben nicht Westen, und der Westen nicht der Osten. Wir einigten uns, dass es auf beiden Seiten noch einen gewissen Lernbedarf gibt – auch 35 Jahre nach der Wende.

 

Kommen wir zurück zu meiner eingangs gestellten Frage. Während das beschauliche Bad Lausick in der Liste gar nicht auftaucht und aktuell auch keinen Fußballklub mehr hat (das Stadion Rote Erde wächst grade zu) rangiert Grimma mit fünf Ligajahren von 1984 bis 1989 auf Platz drei. 1986 wurde die BSG Motor immerhin Vierter wurde und spielte zudem immer ein bisschen den Pokalschreck. Der topmoderne Husarensportplatz, ein reiner Fußballplatz, ist umgeben von einem eingefallenen Gebäudekomplex (Kaserne? Fabrik?) aus den (vermutlich) Zwischenkriegsjahren und einer teilweise als Gewerbepark genutzten Industriebrache auf der gegenüberliegenden Straßenseite (falls jemand genaueres zu den Arealen sagen kann bitte melden!), die erfolgreich DDR-Retro ins Bild brachten.

 

Grimmas Stadtzentrum wiederum ist flott renoviert, wie nahezu alle Städte auf meiner Route mit uraltem Kopfsteinpflaster versehen und hat den typischen rechteckigen Marktplatz des Ostens im Mittelpunkt. Sehr hübsch!

 

Eigentlich wollte ich meine Pause auch in Grimma verbringen, doch weil ich viel Zeit in Kitzscher verbracht hatte und der starke Seitenwind aus dem Westen nervtötend aufs Tempo drückte und Körner verschlang, entschloss ich mich spontan, die Pause nach Wurzen zu verlegen. Da hatte ich 2020 auf der allerersten Etappe der Tour d’OSTalgie schon mal den Fußballplatz besichtigt, nicht aber die Altstadt. Auch hier: viel Kopfsteinpflaster, viel historisches Bauwerk, viel alte Größe und Bedeutung. Allerdings kein geöffnetes Café, obwohl doch Markttag war! Auch das im Netz allseits gepriesene Domcafé war geschlossen. Was ist da los?

 

Also weiter nach Eilenburg, und damit weiter gegen den Seitenwind, zudem auf einer intensiv befahrenen Bundesstraße. Zwischenzeitlich hatte die Wetter-APP für morgen, meine eher kurze Abschlussetappe von Eilenburg nach Bitterfeld, eine Gewitterwarnung herausgegeben. Und zwar nicht erst für den Abend, wie bislang, sondern nun auch schon für den Morgen. Bei dem Gedanken, im Gewitter gegen den Wind zu radeln, um in Bitterfeld, Greppin und Wolfen wegen des Regens gar nix machen zu können, entschloss ich mich kurzerhand, die morgige Etappe in die Zukunft zu verschieben. Mein Ticket für das Roßlau-Festival 2026 ist eh schon gebucht, insofern komme ich nächstes Jahr ohnehin zurück in die Region.

 

Eilenburg läuft in der Rangliste übrigens unter ferner liefen, denn die Stadt war weder in Oberliga noch in Liga vertreten. In der Altstadt wird aktuell großräumig gebaut, und von all den besuchten Städten dieser Woche war Eilenburg sicher die unspektakulärste. Vielleicht lag es einfach daran, dass mitten durchs Zentrum eine dichtbefahrene Straße verläuft und die Atmosphäre doch sehr stört.

 

Fußballerisch scheint die Region übrigens ziemlich in der Hand der Loksche-Fans zu sein, so zumindest nach der Graffitilage. Chemie hatte ich am Sonntag auf der Bahnfahrt nach Aue vor allem im Raum Böhlen wahrgenommen, während das Brausepulver maximal mit einer Fahne in einer Datschensiedlung zu sehen war, nicht aber durch Kleber oder Graffiti.  

 

Damit nimmt die Tour d’OSTalgie nun also eine etwas verfrühte Pause, doch es wird in diesem Jahr sicher noch weitere Etappen geben. Eine Einladung aus Plauen liegt vor, und wenn irgendjemand von Euch Lust hat, mir seine/ihre Stadt zu zeigen und über den lokalen Fußball zu plaudern meldet euch gerne! Mir hat es wieder große Freude bereitet und auch viele neue Erfahrungen geschenkt, durch „den Osten“ zu radeln und Orte zu besuchen, die bislang nur Punkte auf der Landkarte und statistisches Fußballwissen waren.

 

Das geplante Buch nimmt zunehmend Formen an und ich freu mich sehr, wenn ich endlich damit loslegen kann. Vorher stehen aber noch ein paar andere Projekte an, von denen ich demnächst etwas mehr erzähle. In diesem Zusammenhang: Das Buch „Die Geschichte der Regionalliga West 1963 bis 1974" ist bereits in Duck und kommt Anfang August (Die Buchvorstellung wird im Deutschen Fußballmuseum Dortmund stattfinden). Und Band 5 der ZEITSPIEL Legenden ist zu einem guten Drittel fertig, der sollte auch noch in diesem Jahr erscheinen.

 

Ach, und das noch: Am 9. August feiert Zeitspiel Jubiläum. Unfassbare 10 Jahre gibt es das Magazin schon! Im Arminia-Stadion am Bischofsholer Damm wird es ab 11 Uhr ein lockeres Fußballkulturprogramm geben, ehe um 17 Uhr die Landesligasaison für die Blauen startet. Vielleicht sehen uns dort ja?  

  

Sport frei!